Humboldt-Universität zu Berlin - Nachbarschaften des Willkommens

Methoden

Nachbarschaften im Vergleich: Eine komparative Analyse

 

Das Projekt „Nachbarschaften des Willkommens“ ist auf drei Jahre angelegt. Im Zuge der Projektlaufzeit soll die Frage nach dem Zusammenhang zwischen neuer Diversität und sozialem Zusammenhalt auf lokaler, sozialräumlicher Ebene in vier Nachbarschaften mit unterschiedlichen Kontextmerkmalen komparativ untersucht werden.

Die Auswahl der Nachbarschaften orientiert sich an zwei zentralen Merkmalen: dem sozioökonomischen Status der Bewohner*innen und der Migrationsgeschichte des Quartiers. Es wird oft postuliert, dass durch sozialen Abstieg bedrohte Bevölkerungsteile besonders ablehnend auf zunehmende Diversität reagieren. Jedoch kommt es auch in besser gestellten Quartieren oft zu Protesten gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Die bisherige Immigrationsgeschichte in der Nachbarschaft erachten wir als relevanten Indikator für die vorhandenen interkulturellen Kompetenzen der Bevölkerung sowie für Erfahrung in der Verhandlung von sozioökonomisch und sozio-kulturell begründete Konflikten im Zuge von Migration.

Die Migrationsgeschichte der Bevölkerung wurde über den Indikator des Bevölkerungsanteils mit ausländischer Staatsbürgerschaft operationalisiert und die sozio-ökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung über den Indikator der Arbeitslosenquote.

Die ausgewählten Quartiere in Berlin, Dresden, Hamburg und Stuttgart variieren in der Zusammensetzung dieser Kontextmerkmale. In allen vier Orten ist jedoch – in unterschiedlichem Maße – die Wohnungskrise und die Zuwanderung durch Fluchtmigration gleichermaßen relevant. Das Zusammentreffen verschärft einerseits die Konflikte in den Nachbarschaften des Ankommens, gleichwohl führt es nicht automatisch zu Konflikten um städtischen (Wohn-)Raum, sondern ruft auch neue Solidaritäten hervor. Die Bedingungen von Konflikten und neuen Solidaritäten wird in den ausgewählten Nachbarschaften genauer untersucht.

 

  Arbeitslosenquote niedrig Arbeitslosenquote hoch

Anteil Einwohnerschaft ohne deutsche Staatsbürgerschaft hoch

Nachbarschaft in Stuttgart Nachbarschaft in Berlin
Anteil Einwohnerschaft ohne deutsche Staatsbürgerschaft niedrig Nachbarschaft in Hamburg Nachbarschaft Dresden

Tabelle 1: Vergleichslogik nach Arbeitslosenquote und Anteil von Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in den Untersuchungsquartieren

 


 

In der Berliner Nachbarschaft sind Bestände des Sozialen Wohnungsbaus vorherrschend, deren über dem Berliner Durchschnitt liegende Mieten die Wohnungskrise noch verschärfen. Die dortige Mieterschaft besitzt eine reiche Migrationserfahrung und hat zugleich eine vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote. Die Nachbarschaft ist durch Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum geprägt. Seit 2012 ist hier unter anderem die Ankunft und der Aufenthalt von Geflüchteten Thema von Konflikten und Unterstützung.

Die ausgewählte Nachbarschaft in Hamburg bildet mit niedriger Arbeitslosenquote und niedrigem Anteil ausländischer Staatsbürger*innen ein Gegenstück zur Nachbarschaft in Berlin. Hier haben Konflikte um den Neubau von Wohnungen für Geflüchtete u.a. dazu geführt, dass inzwischen eine sehr viel kleinere Anzahl von Wohnungen entstehen soll. Gleichwohl setzen sich viele Bewohner*innen weiter für Solidarität im Viertel und den Zuzug von Geflüchteten ein.

Der Stuttgarter Stadtteil besitzt eine reiche Migrationserfahrung und eine niedrige Arbeitslosenquote.
2016 wurde dort eine Unterkunft für Geflüchtete eingerichtet und bereits im Vorfeld eine Anwohner*inneniniative gegründet, die sich für Geflüchtete einsetzt. Der Zuzug von Geflüchteten wurde jedoch nicht ohne Protest aufgenommen, was durch unterschiedliche Aushandlungsprozesse vonseiten der Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft begleitet wurde und wird.

In Dresden untersuchen wir eine Großwohnsiedlung, die von einer relativ geringen Migrationserfahrung geprägt ist, bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeitsrate. Obwohl aus Sicht von Expert*innen dort „kein gravierendes Wohnungsversorgungsproblem“ (Schönig et al. 2017: 41) bestehe, machen sich steigende Mieten und zunehmender Wohnraummangel auch in Dresden bemerkbar. In dem ausgewählten Stadtteil bringt die Stadt unter anderem Geflüchteten in Wohnungen unter, die früher der Kommune gehörten und heute im Besitz von privaten Wohnungsanbieter*innen sind.

 

Aufbau der Untersuchung

 

Das Projekt umfasst zwei qualitative Forschungsphasen sowie eine quantitative Befragung und beleuchtet die Konflikthaftigkeit von Wohnungs- und sogenannte Flüchtlingskrise so aus mehreren Perspektiven. Diese drei Forschungsphasen werden in der letzten Phase des Projektes zusammengeführt um darauf aufbauend Handlungsempfehlungen für Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung und Wohnungswirtschaft zu erarbeiten.


Forschungsphase I: Qualitative Interviews mit zentralen Akteur*innen

Die qualitativen Interviews geben eine Einschätzung des Quartiers und seiner Problematik aus Sicht von zentralen Akteur*innen wie Lokalpolitiker*innen, Quartiersmanager*innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen etc.. Darauf aufbauend kann eine erste Quartiersbeschreibung erstellt werden. Hier wird unter anderem in den Blick genommen, inwiefern sich ein dominanter Diskurs entwickelt, der auch policy-Entscheidungen anleitet.


Forschungsphase II: Quantitative Erhebung – Einstellungen der etablierten Wohnbevölkerung

Die standardisierte Befragung untersucht, ob und wie die bereits länger in der Nachbarschaft lebende Bevölkerung die Veränderungen in der Nachbarschaft wahrnimmt, welche Einstellungen gegenüber neu Hinzuziehenden vorherrschen und inwiefern sich damit Unterschiede in verschiedenen Sozialkapitaldimensionen ergeben (u.a. soziale Netzwerke, zivilgesellschaftliches Engagement).


Forschungsphase III: Qualitative Interviews mit geflüchteten Nutzer*innen

In der dritten Forschungsphase werden geflüchtete Bewohner*innen sowie Nutzer*innen, die neu und/oder temporär in der Nachbarschaft sind, mithilfe qualitativer Leitfadeninterviews und einem kurzen standardisierten Fragebogen befragt. Hier geht es darum, die Erkenntnisse und Perspektiven der etablierten Bewohner*innen und der zentralen Akteur*innen aus den Forschungsphasen I-II um die Perspektive der geflüchteten Nutzer*innen und Bewohner*innen zu ergänzen.