Humboldt-Universität zu Berlin - Urban Citizenship Covid

Tel Aviv Fallstudie

Urban Citizenship in Zeiten der Krise: Tel Aviv

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In Tel Aviv haben wir uns in der Studie auf Beratungs- und Nachbarschaftsorganisationen konzentriert, die während der Pandemie Unterstützung speziell für Asylbewerber*innen aus dem Sudan und aus Eritrea geleistet haben. Ende 2020 lebten in Israel fast 28.000 Menschen aus dem Sudan und aus Eritrea (20% bzw. 71%). Etwa 10.000 von ihnen lebten in der Stadt Tel Aviv (500.000 Einwohner), insbesondere in den südlichen Stadtvierteln.

Viele dieser Menschen sind vor Gewalt, militärischer Zwangseinberufung auf unbestimmte Zeit oder anderen Formen von Menschenrechtsverletzungen geflohen. Sie kamen zwischen 2005 und 2012 über die südliche Grenze zu Ägypten nach Israel. Ein danach errichteter Grenzzaun soll nun die Einreise weiterer Migrant*innen verhindern. Mehr als die Hälfte der Gruppe hat Asylanträge gestellt, die beim israelischen Innenministerium noch anhängig sind. Wir nutzen in unserer Studie und in unseren Veröffentlichungen für diese Gruppe daher die Bezeichnung „Asylbewerber*innen“.

Asylbewerber*innen aus dem Sudan und Eritrea können aufgrund der Situation in ihren Heimatländern nicht abgeschoben werden. Sie halten sich seit über einem Jahrzehnt mit einem befristeten Dokument in Israel auf, das ihnen keine sozialen, gesundheitlichen oder sonstigen Rechte gewährt. Obwohl sie als „nicht abschiebbar“ anerkannt sind, hat der Staat wiederholt damit gedroht, diese Gruppe kollektiv zu inhaftieren und abzuschieben. Auch nach mehr als einem Jahrzehnt ist ihr Aufenthalt in Israel rechtlich völlig prekär. Die Asylbewerber*innen können auf der Grundlage einer mündlichen Vereinbarung im Land arbeiten. Sie sind jedoch oft auf die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) angewiesen, wenn es um den Zugang zu den wenigen staatlichen Ressourcen geht oder um alternative Unterstützung durch den „dritten Sektor“.

In Tel Aviv gibt es etwa ein Dutzend Beratungs- und Nachbarschaftsorganisationen, die Asylbewerber*innen speziell mit Blick auf die Wahrnehmung grundlegender Rechte, Leistungen und Ressourcen unterstützen. Diese Organisationen unterscheiden sich je nach Schwerpunkt und Expertise - Gesundheit, Wohlfahrt, Recht, Bildung, psycho-soziale Betreuung usw. Die meisten haben ihren Sitz in Süd-Tel Aviv, betreuen aber Asylbewerber*innen und andere nicht-jüdische Migrant*innen aus ganz Israel.

 

Forschungsdesign und Methoden

Die Organisationen, mit denen wir Interviews geführt haben, haben wir aufgrund ihrer zentralen Rolle bei der Unterstützung von Asylbewerber*innen während der Corona-Krise ausgewählt. Um die wichtigsten Akteure vor Ort ausfindig zu machen, wurde das Schneeballprinzip angewandt.

 

Insgesamt führten wir fünfzehn (15) Interviews mit:

• kommunalen Akteuren aus den Sozialdiensten und der Gemeindeverwaltung (4)
• lokalen NGOs (5)
• nationalen und internationalen Organisationen (3)
• und Aktivist*innen mit Migrations- und Fluchterfahrung (3)

 

Ergebnisse

Die Projektergebnisse zeigen, dass die Stadtverwaltung Tel Aviv während der Pandemie ihre Dienstleistungen für Asylbewerber*innen über die Routinezeiten und Grundversorgung hinaus erweitert hat. Dazu gehörten COVID-19-Tests, die physische und digitale Verbreitung von Leitlinien und Informationen in verschiedenen Sprachen (Englisch, Tigrinya, Arabisch), Impfangebote für Migrant*innen ohne Papiere, Unterstützung durch die lokale Behörde für Migration und Integration (Mesila), Angebote und Hilfen für Erkrankte und Quarantänepatient*innen durch das „Corona Command and Control Center“ der Stadtverwaltung - aber auch verstärkte Kontrollen und Inspektionen, z.B. um Versammlungen im öffentlichen Raum aufzulösen. Die Stadtverwaltung verteilte Lebensmittelgutscheine, tiefgekühlte Fertiggerichte, Pakete mit Grundnahrungsmitteln und Babynahrung. Darüber hinaus arbeitete sie mit der israelischen Zentralregierung zusammen, um die Freigabe und Auszahlung von verpflichtenden Kautionen migrantischer Arbeiter*innen zu erwirken. Diese waren von den Löhnen der Arbeiter*innen abgezogen worden und sollten bis zu ihrer Ausreise aus Israel auf einem Treuhandkonto verwahrt werden.

Nachbarschafts- und Beratungsorganisationen leisteten humanitäre Hilfe in großem Umfang, übersetzten und verbreiteten Informationen, erhoben Informationen zur mangelnden Versorgung von Asylbewerber*innen, setzten sich für politische Maßnahmen und Lösungen seitens der Regierung oder der Stadtverwaltung ein und boten eigene Dienste in den Bereichen Gesundheit, Bildung und psychosoziale Betreuung an.

Aktivist*innen lieferten und verteilten humanitäre Hilfe, ermittelten den Bedarf und erstatteten den NGOs oder Behörden Bericht, übersetzten und verbreiteten Informationen und unterstützten die Vernetzung von Organisationen und Initiativen.

Nationale und internationale Organisationen leisteten, unterstützten und koordinierten humanitäre Hilfe, übersetzten und verbreiteten Informationen, setzten sich für politische Maßnahmen im Einklang mit globalen Normen und Konventionen ein. Sie waren an der Einrichtung, Umsetzung und Überwachung eines Hilfsfonds beteiligt, der in Israel den ersten Fall einer staatlich finanzierten Sozialhilfe für Asylbewerber*innen darstellt. Sie unterstützten die Förderung von Netzwerken, vor allem zwischen kommunalen Akteuren, staatlichen Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und Aktivist*innen.

 


 

Politikempfehlungen Tel Aviv

 

Take-Away Points

• Bedeutung bereits vorhandener Infrastrukturen für unerwartete Notfälle und Krisen

• Notwendigkeit einer zentralen Koordinierungsstelle

• Flexibilität in der Arbeitskultur

• Verstärkte Kommunikationsnetze und Informationsaustausch (einschließlich IKT)

• Aktive Einbindung migrantischer Organisationen und Aktivist*innen

 

Politische Empfehlungen

• Übertragung des Modells von „Mesila“ (lokale Behörde für Migration und Integration) auf andere Städte unter Berücksichtigung der spezifischen lokalen Gegebenheiten

• Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, insbesondere migrantische ad-hoc-Initiativen und Selbstorganisationen

• Berücksichtigung von und Sensibilität für besonders vulnerable Gruppen mit spezifischen Bedürfnissen

 


 

Weiterführende Links

Mesila
Municipal Unit for the Foreign Community – provides information, mediation, advocacy, rights, humanitarian aid, counseling, assistance with agencies. Aid for asylum seekers during COVID was funded by donations raised by Mesila and matched by the emergency fund of the TLV Foundation.

 

Tel Aviv Municipality
Tel Aviv Municipality’s efforts to manage the pandemic were coordinated by the Mayor and the Director General. The Social Service Administration oversees public health, and headed the Corona Task Force.

 

Eritrean Women’s Community Center
Community-based center that was founded in 2011 to promote the rights of women in the community. The Director of the organization was interviewed.

 

Physicians for Human Rights Israel
Advocating equal rights to health

 

Hotline for Refugees and Migrants
Provide information, legal aid, advocacy.

 

The Garden Library
Education and Community Strength

 

ASSAF
Aid Organization for Asylum Seekers and Refugees (ASSAF) offer Psycho-social support

 

Elifelet
Early childhood education, therapy, and humanitarian aid

 

JOINT Elka Taskforces
The Joint (American Jewish Joint Distribution Committee) is the largest Jewish humanitarian organization in the world. Joint Elka focuses on system challenges. It Partners with government, local and regional authorities, social and business sector.

Center for International Migration and Integration
An NGO established by JDC Israel to assist
Israeli society and government in dealing with changing migration patterns.

UNHCR Israel

 


 

Kontakt: Nir Cohen